
Geschichten vom Unterwegssein
Begegnungen mit Frauen auf ähnlichen Wegen
Wir gehen nie wirklich allein. Auf unseren Lebenswegen begegnen wir anderen Reisenden - Frauen, die ähnliche Pfade beschreiten, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen und die ähnliche Erkenntnisse gewinnen wie wir selbst.
In diesem Raum teilen wir Geschichten von Frauen, die unterwegs sind. Frauen, die aufgebrochen sind, um ihrer Wahrheit zu folgen. Die Umwege gegangen sind und Sackgassen erlebt haben. Die durch dunkle Täler gewandert sind und überraschende Aussichten entdeckt haben.
Diese Geschichten sind weder perfekt noch abgeschlossen. Sie sind ehrlich, unvollständig und voller Leben - genau wie unsere eigenen. Sie laden dich ein, dich wiederzuerkennen, dich verstanden zu fühlen und Mut zu schöpfen für deinen ganz eigenen Weg.
07.05.2025
Der rote Faden: Elenas Geschichte
"Manchmal verstehst du erst später, dass bestimmte Umwege keine Irrwege waren, sondern genau die Strecke, die du gehen musstest." - Elena, 52
Der Aufbruch
Sie sitzt mir gegenüber, die Hände um eine Teetasse geschlungen, das Haar in einem lockeren Knoten zusammengebunden. Elena ist 52 und strahlt jene besondere Ruhe aus, die oft aus durchlebten Stürmen erwächst. Als ich sie frage, wann ihre Reise begann, lacht sie leise.
"Mit 42 hat mich mein Leben an eine Weggabelung geführt, an der alle vertrauten Wegweiser versagten. Meine Ehe ging zu Ende nach fast zwanzig Jahren. Die Kinder waren gerade ausgezogen. Mein Vater wurde pflegebedürftig. Und in meinem Job hatte ich eine Beförderung bekommen, die plötzlich alles andere als erstrebenswert erschien."
Es ist diese Mischung aus äußeren Veränderungen und innerer Unruhe, die viele von uns kennen. Dieser Moment, in dem ein sorgsam gebautes Leben plötzlich wie ein zu eng gewordenes Kleid erscheint.
"Ich erinnere mich noch an diesen einen Morgen", erzählt Elena. "Ich stand vor dem Spiegel und fragte mich: 'Wer bist du eigentlich? Und wer willst du sein in dieser zweiten Lebenshälfte?' Die Antworten kannte ich nicht. Aber die Fragen waren ein Anfang."
Die Umwege
Elenas Weg führte zunächst durch das, was sie heute lächelnd ihre "Versuchslabor-Phase" nennt. Ein Sabbatical, gefolgt von einer Zeit des Experimentierens. Sie versuchte die Rolle der unermüdlichen Weltreisenden ("Bin nach drei Monaten erschöpft zurückgekehrt"), der Vollzeit-Künstlerin ("Talentiert, aber nicht leidenschaftlich genug") und der Pflegerin ihres Vaters ("Die emotional herausforderndste Zeit meines Lebens").
"Es gab Momente, in denen ich dachte: Hast du wirklich alles aufgegeben, um jetzt so planlos zu sein? Aber heute weiß ich, dass all diese 'Umwege' nötig waren. Sie haben mir gezeigt, was ich nicht will – und das ist manchmal genauso wichtig wie zu wissen, was man will."
Eine Erkenntnis, die sich durch viele Frauengeschichten zieht: Der Weg führt selten geradeaus. Er windet sich, kehrt manchmal zu bereits besuchten Orten zurück, und nimmt überraschende Wendungen.
Der rote Faden
Was Elena damals fehlte, war nicht etwa Mut oder Energie – es war ein roter Faden. "Ich suchte nach einem Leitmotiv für diese neue Lebensphase. Etwas, das all meinen Entscheidungen eine Richtung geben würde."
Sie fand ihn in einem unerwarteten Moment, als sie für eine Freundin einsprang, die eine Gesprächsgruppe für Frauen im Umbruch leitete. "Plötzlich saß ich in einem Raum voller Frauen, die ähnliche Fragen hatten wie ich. Die nach neuen Wegen suchten, nach Sinn, nach einer Version ihrer selbst, die authentischer war."
Der rote Faden wurde sichtbar: Das Verbinden von Menschen in Übergangsphasen. Das Schaffen von Räumen für ehrliche Gespräche. Heute, zehn Jahre später, leitet Elena Workshops für Frauen in der Lebensmitte, schreibt Bücher über persönliche Transformation und hat ein Netzwerk für gegenseitige Unterstützung aufgebaut.
"Was mich am meisten überrascht: Mein Leben nutzt jetzt alles, was ich je gelernt habe. Meine organisatorischen Fähigkeiten aus dem früheren Job. Die Kreativität aus meiner Künstlerphase. Das tiefe Mitgefühl, das ich während der Pflege meines Vaters entwickelt habe. Nichts war umsonst."
Die Wegweisheit
Wenn Elena heute jüngeren Frauen einen Rat geben soll, zögert sie. "Ratschläge sind oft Schläge", lächelt sie. "Aber eine Erkenntnis möchte ich teilen: Vertraue dem Prozess. Selbst wenn du dich verloren fühlst, sammelt deine Seele Erfahrungen. Höre auf die leisen Impulse in dir. Und vor allem: Finde andere Frauen, die ähnliche Wege gehen. Die Verbindung zu Gleichgesinnten hat mir mehr Kraft gegeben als alles andere."
Als unser Gespräch endet und wir durch den Herbstwald zurück zum Parkplatz gehen, bleibt Elena kurz stehen und blickt zurück auf den gewundenen Pfad. "Siehst du", sagt sie und deutet auf die bunte Blätterpracht, "manchmal ist es gerade die Unvorhersehbarkeit des Weges, die seine Schönheit ausmacht."
Welcher Teil von Elenas Geschichte berührt dich am meisten? Welchen roten Faden erkennst du in deinem eigenen Leben?
16.05.2025
Begegnungen mit Frauen, die ähnliche Wege gehen und ihre Erfahrungen teilen
Liebe Leserin,
kennst du dieses besondere Gefühl, wenn du einer Frau begegnest und sofort spürst: Sie versteht mich, ohne dass ich viel erklären muss? Dieses stille Wiedererkennen in den Augen einer anderen, die ähnliche Höhen erklommen und ähnliche Täler durchschritten hat wie du?
Es gibt Begegnungen, die uns tief berühren und lange nachhallen – weil sie uns zeigen, dass wir auf unserem Weg nicht allein sind. In den letzten Jahren durfte ich einige solcher Begegnungen erleben, und ich möchte heute mit dir einige dieser Geschichten teilen. Geschichten von Frauen, die wie du und ich unterwegs sind auf dem vielschichtigen Pfad durch die zweite Lebenshälfte. Frauen, deren Erfahrungen uns vielleicht einen Spiegel vorhalten, uns trösten oder inspirieren können.
Die stille Kraft der geteilten Erfahrung
Bevor ich dir von diesen Begegnungen erzähle, möchte ich einen Moment innehalten und darüber nachdenken, warum das Teilen von Erfahrungen zwischen Frauen so besonders kraftvoll ist.
Als ich vierzig wurde, fühlte ich mich oft wie eine Pionierin, die unbekanntes Terrain betritt. Natürlich hatten Millionen Frauen vor mir diesen Weg beschritten, aber ihre Geschichten erreichten mich selten. Die Narrative, die unsere Kultur uns anbot, schienen entweder oberflächlich oder entmutigend – als gäbe es nur die Wahl zwischen ewiger Jugendlichkeit oder dem Unsichtbarwerden.
Erst als ich begann, bewusst den Geschichten anderer Frauen zuzuhören, erkannte ich, wie vielfältig, reich und inspirierend die weiblichen Lebenswege tatsächlich sind. Und wie sehr wir einander brauchen – nicht als Vorbilder im klassischen Sinne, sondern als Weggefährtinnen, die Licht auf Abschnitte des Pfades werfen, die vor uns liegen könnten.
Mit diesem Gedanken im Herzen möchte ich dich nun zu einer Reise durch einige Begegnungen einladen, die mich in den letzten Jahren geprägt haben.
Elisabeth: Der Mut zur späten Leidenschaft
Ich traf Elisabeth bei einer Vernissage – sie stand vor einem ihrer eigenen Gemälde, ein abstraktes Werk in leuchtenden Blau- und Grüntönen. Wir kamen ins Gespräch, und ich war überrascht zu erfahren, dass sie erst mit 58 Jahren ernsthaft zu malen begonnen hatte.
"Die ersten fünf Jahrzehnte meines Lebens habe ich für andere gelebt," erzählte sie mir bei einem Glas Wein nach der Ausstellung. "Ich war Krankenschwester, Ehefrau, Mutter von drei Kindern. Immer war jemand da, der mich brauchte, und ich habe gerne gegeben. Aber tief in mir war diese Sehnsucht, diese kleine, beharrliche Stimme, die flüsterte: Da ist noch etwas anderes in dir."
Nach dem Tod ihres Mannes und dem Auszug des letzten Kindes stand Elisabeth vor einem leeren Haus und einem scheinbar leeren Leben. "Eines Tages saß ich in meinem Wohnzimmer und weinte. Nicht nur um meinen Mann, sondern um all die Jahre, in denen ich meine tiefsten Wünsche beiseitegeschoben hatte. In diesem Moment fasste ich einen Entschluss: Die zweite Hälfte meines Lebens würde mir gehören."
Sie meldete sich für einen Malkurs an der Volkshochschule an – etwas, wovon sie seit ihrer Kindheit geträumt hatte. "Ich war die Älteste im Kurs, und meine ersten Bilder waren schrecklich," lachte sie. "Aber ich spürte so eine tiefe Freude beim Malen, dass es mir egal war."
Heute, mit 67, hat Elisabeth bereits mehrere erfolgreiche Ausstellungen hinter sich. Ihre Wohnung hat sie in ein Atelier umgewandelt, und dreimal im Jahr organisiert sie Malworkshops für Frauen ab 50.
"Weißt du, was das Schönste ist?", fragte sie mich. "Nicht die Anerkennung oder der Verkauf meiner Bilder. Sondern die Momente, in denen ich vor der Leinwand stehe und spüre: Hier bin ich ganz ich selbst. Hier spreche ich meine eigene Sprache. Dieses Gefühl ist unbezahlbar – und es war das Warten wert."
Elisabeth lehrte mich, dass es nie zu spät ist, einer lang gehegten Leidenschaft zu folgen. Dass manche Samen in uns erst in der zweiten Lebenshälfte zu blühen beginnen – und dass diese späten Blüten besonders kraftvoll sein können.
Maria: Die Freiheit des Loslassens
Maria begegnete ich auf einer Wanderung in den Bergen. Sie war allein unterwegs, mit einem kleinen Rucksack und einem zufriedenen Lächeln. Wir teilten unsere Brotzeit auf einer Bank mit Blick ins Tal und kamen ins Gespräch.
Mit 55 hatte Maria ihren Job als Controlling-Leiterin in einem großen Unternehmen gekündigt, ihre Stadtwohnung verkauft und war in ein kleines Dorf in den Voralpen gezogen. Eine Entscheidung, die ihr Umfeld schockierte.
"Alle dachten, ich hätte den Verstand verloren," erzählte sie mir. "Eine sichere Position, ein gutes Gehalt, eine Eigentumswohnung in bester Lage – wer gibt das freiwillig auf? Aber weißt du, was mich belastete? Nicht die Arbeit selbst, sondern das ständige Gefühl, in einem Leben festzustecken, das wie maßgeschneidert für jemand anderen schien."
Der Wendepunkt kam, als Maria eine schwere Grippe bekam und zwei Wochen zuhause bleiben musste. "In dieser erzwungenen Stille hörte ich zum ersten Mal seit Jahren richtig in mich hinein. Und was ich hörte, erschreckte mich: Da war eine tiefe Unzufriedenheit, fast wie ein unterdrücktes Schluchzen. Ich hatte jahrelang funktioniert, hatte alle Boxen auf der gesellschaftlichen Checkliste abgehakt – und dabei vergessen zu fragen, ob dieses Leben mich wirklich nährte."
Maria begann, alles zu hinterfragen: ihren Job, ihren Wohnort, ihren übervollen Kleiderschrank, ihre stressigen Wochenenden. "Ich stellte mir eine einfache Frage: Wenn ich nur noch fünf Jahre zu leben hätte, würde ich sie so verbringen wollen? Die Antwort war ein klares Nein."
Der Prozess des Loslassens begann mit kleinen Schritten. Sie reduzierte ihre Arbeitszeit, verkaufte Besitztümer, die sie nicht brauchte, und verbrachte mehr Zeit in der Natur. Mit jedem Schritt spürte sie mehr Klarheit – bis sie bereit war für den großen Sprung.
"Heute lebe ich von meinen Ersparnissen und einem kleinen Online-Business, das ich nebenbei aufgebaut habe. Ich brauche viel weniger, als ich dachte. Und ich habe viel mehr, als ich je hatte – Zeit, Ruhe, echte Verbindungen zu Menschen und zur Natur."
Was mich an Marias Geschichte am meisten berührte, war ihre Beschreibung des Gefühls, das sie nach dem Loslassen empfand: "Es ist, als hätte ich endlich den Rucksack abgesetzt, den ich mein ganzes Erwachsenenleben lang getragen habe. Einen Rucksack voller Erwartungen, Verpflichtungen und 'Sollte'. Die Erleichterung ist unbeschreiblich."
Von Maria lernte ich, dass Loslassen – von materiellen Dingen, von Rollen, von Erwartungen – kein Verlust sein muss, sondern der Beginn einer tiefen, befreienden Leichtigkeit sein kann.
Sophia: Die Weisheit der zweiten Chance
Sophia traf ich bei einem Schreibworkshop. Sie war 62, hatte leuchtend rotes Haar und eine ansteckende Lebensfreude. In der Vorstellungsrunde erzählte sie, dass sie vor drei Jahren ihren Jugendfreund wiedergetroffen und geheiratet hatte – 40 Jahre nachdem sie sich das erste Mal verliebt hatten.
Später, beim Abendessen, erfuhr ich mehr über ihre Geschichte. Nach einer ersten Ehe, die unglücklich endete, hatte sie zwei Jahrzehnte allein gelebt und ihre beiden Töchter großgezogen. "Ich hatte meine Lektion gelernt," sagte sie. "Oder so dachte ich zumindest. Die Lektion hieß: Liebe ist nichts für mich."
Sie konzentrierte sich auf ihre Karriere als Bibliothekarin und auf ihre Rolle als Mutter. "Ich hatte ein gutes Leben," betonte sie. "Nicht aufregend, aber erfüllend. Ich brauchte niemanden, um mich vollständig zu fühlen."
Dann, bei einem Klassentreffen, stand plötzlich Thomas vor ihr – ihre erste große Liebe. Sie hatten sich nach dem Abitur aus den Augen verloren, als er zum Studium in eine andere Stadt zog und sie eine Ausbildung in ihrer Heimatstadt begann. Nun war er Witwer, sie alleinstehend.
"Es war, als wären die vier Jahrzehnte dazwischen einfach verschwunden," erzählte Sophia mit leuchtenden Augen. "Da war sofort wieder diese Verbindung, dieses tiefe Verständnis. Aber da war auch etwas Neues: eine Reife, eine Dankbarkeit für die unerwartete zweite Chance."
Was mich an Sophias Geschichte besonders berührte, war ihre Reflexion darüber, wie anders ihre Liebe nun war als in ihrer Jugend: "Mit zwanzig liebten wir aus Leidenschaft und mit viel Drama. Mit sechzig lieben wir aus Wahl und mit tiefem Frieden. Wir wissen, wie kostbar die gemeinsame Zeit ist. Wir haben beide schwierige Zeiten durchlebt und tragen unsere Narben. Das macht unsere Verbindung nicht schwächer, sondern tiefer."
Ein Jahr nach ihrer Hochzeit erhielt Thomas die Diagnose Parkinson. "Als wir das erfuhren, sagte er zu mir: 'Es tut mir leid, dass dir das bevorsteht.' Und ich antwortete aus tiefstem Herzen: 'Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Jeder gemeinsame Tag ist ein Geschenk.'"
Sophia lehrte mich, dass es nie zu spät ist für eine zweite Chance – in der Liebe und im Leben. Dass unsere Wunden und Narben uns nicht verstümmeln, sondern uns befähigen können, tiefer zu lieben und bewusster zu leben. Und dass manchmal die schönsten Kapitel unserer Geschichte erst beginnen, wenn wir denken, das Buch sei schon fast zu Ende.
Leila: Der Weg zur inneren Heimat
Leila begegnete ich bei einem Yoga-Retreat. Sie war 48, hatte eine ruhige Ausstrahlung und leitete die Morgenmeditation. Wir setzten uns nach einer Stunde zum Tee zusammen, und sie erzählte mir von ihrer Reise zu sich selbst.
"Mit Anfang vierzig steckte ich in einer waschechten Midlife-Crisis," gestand sie. "Von außen sah mein Leben perfekt aus: erfolgreicher Job in der Modebranche, schicke Wohnung, viele Freunde. Aber innerlich fühlte ich mich leer und unverbunden – selbst mit meinen nächsten Angehörigen."
Eine Panikattacke während einer wichtigen Präsentation wurde zum Wendepunkt. "Es war, als würde mein Körper schreien: So geht es nicht weiter! Ich nahm mir eine Auszeit und reiste nach Bali – nicht als Touristin, sondern auf der Suche nach Antworten."
Dort, fern von ihrem gewohnten Umfeld, begann Leila, ihr Leben zu hinterfragen. "Ich erkannte, dass ich jahrelang einem Bild entsprechen wollte, das nicht meins war. Ich hatte mich so sehr damit beschäftigt, nach außen erfolgreich zu wirken, dass ich den Kontakt zu meinem inneren Kompass völlig verloren hatte."
Ein Retreat bei einer älteren Yoga-Lehrerin veränderte alles. "Sie fragte mich am ersten Tag: 'Wann hast du zum letzten Mal gespürt, dass du ganz bei dir bist?' Ich konnte keine Antwort geben. Ich hatte so lange funktioniert, dass ich gar nicht mehr wusste, wie es sich anfühlt, wirklich präsent zu sein."
Nach ihrer Rückkehr kündigte Leila ihren Job und begann eine Ausbildung zur Yoga- und Meditationslehrerin. "Es war finanziell ein Rückschritt, aber innerlich ein enormer Sprung nach vorn. Zum ersten Mal seit meiner Kindheit spürte ich wieder, wer ich wirklich bin – jenseits aller Rollen und Erwartungen."
Heute unterrichtet Leila speziell Frauen in der Lebensmitte. "Viele von uns kommen in diesen Jahren an einen Punkt, wo die alten Strategien nicht mehr funktionieren. Wo wir spüren: Da muss mehr sein als das. Diese Krise ist in Wahrheit eine Einladung – eine Einladung, nach Hause zu kommen zu uns selbst."
Was mich an Leilas Geschichte besonders berührte, war ihr Verständnis der Midlife-Crisis als spirituelle Chance: "In der ersten Lebenshälfte bauen wir unser Leben nach außen auf. In der zweiten Hälfte sind wir eingeladen, nach innen zu reisen und unsere tiefere Wahrheit zu entdecken. Diese Reise kann erschreckend sein, aber sie ist der Weg zu einer Authentizität und Freiheit, die wir vorher nicht kannten."
Von Leila lernte ich, dass die Verunsicherung und das Hinterfragen, die viele von uns in der Lebensmitte erleben, keine Zeichen des Scheiterns sind, sondern Wegweiser zu einem tieferen, authentischeren Leben.
Die Weisheit der gemeinsamen Reise
All diese Frauen – Elisabeth, Maria, Sophia und Leila – sind auf ihre eigene Weise unterwegs. Ihre Pfade unterscheiden sich, ihre Geschichten sind einzigartig. Und doch gibt es Verbindungslinien, gemeinsame Themen, die in ihren Erzählungen widerhallen:
- Der Mut, altvertraute Ufer zu verlassen und neue Wege zu erkunden
- Die Bereitschaft, inneren Wahrheiten zu lauschen, selbst wenn sie unbequem sind
- Die Fähigkeit, Verluste und Rückschläge nicht als Ende, sondern als Wendepunkte zu begreifen
- Das wachsende Vertrauen in die eigene innere Stimme
Was mich an diesen Begegnungen am meisten berührt hat, ist die ruhige Gewissheit, mit der diese Frauen von ihren Umbrüchen sprechen. Nicht mit der hektischen Begeisterung derer, die etwas beweisen müssen. Sondern mit der gelassenen Zuversicht von Menschen, die durch Höhen und Tiefen gegangen sind und dabei entdeckt haben, was wirklich zählt.
Ein Kreis der Wegbegleiterinnen
Aus der Idee heraus, Frauen in der Lebensmitte miteinander zu verbinden, entstand ein inspirierendes Format: der 'Kreis der Wegbegleiterinnen' – eine kleine Gruppe von sechs Frauen im Alter zwischen 45 und 68 Jahren, die sich einmal im Monat trifft, um persönliche Erfahrungen, Herausforderungen und wertvolle Erkenntnisse auszutauschen.“
Dabei hat sich ein einfaches Ritual etabliert, das den Treffen eine wohltuende Struktur gibt:
- Die Ankommensrunde
Jede von uns teilt kurz, wie es ihr gerade geht und was sie seit dem letzten Treffen bewegt hat. - Die Tiefenfrage
Bei jedem Treffen steht eine Frage im Mittelpunkt, die wir reihum beantworten. Fragen wie: "Welchen Teil von dir hast du lange vernachlässigt?", "Was möchtest du in deinem Leben noch mehr Raum geben?", "Welche Überzeugung hast du kürzlich losgelassen?" - Der Inspirationsteil
Eine von uns bereitet einen kurzen Input vor – ein Gedicht, einen Text, eine Übung oder eine Geschichte, die sie inspiriert hat. - Die Weisheitsschale
Wir haben eine schöne Schale, in die jede am Ende des Treffens einen kleinen Zettel mit einer Erkenntnis oder einem Wunsch legt. Beim nächsten Treffen zieht jede einen Zettel (nicht ihren eigenen) und teilt, wie dieser Gedanke sie in der Zwischenzeit begleitet hat.
Solche monatlichen Treffen können zu einem wertvollen Anker im Alltag werden – sie schaffen einen Raum, in dem man sich verstanden und getragen fühlt, auch ohne viele Worte. Es ist ein geschützter Ort für ehrliche Begegnung – jenseits von Perfektion und Leistungsdruck. Hier dürfen Menschen gemeinsam lachen, weinen und wachsen – verbunden durch das, was sie wirklich bewegt.
Eine Einladung an dich
Liebe Leserin, ich hoffe, dass dich diese Geschichten vom Unterwegssein berührt haben und dass du vielleicht ein Stück deines eigenen Weges in ihnen wiedererkannt hast.
Wenn ich einen Wunsch für dich hätte, dann diesen: Finde Wegbegleiterinnen. Frauen, mit denen du deine Geschichte teilen kannst – die ungeschminkte Wahrheit, nicht die Instagram-Version. Frauen, die dich sehen und hören, mit all deinen Widersprüchen und Wandlungen. Frauen, die wie du unterwegs sind auf dem vielschichtigen Pfad durch die zweite Lebenshälfte.
Das können Freundinnen sein, die du schon lange kennst, oder neue Bekanntschaften, die zu Wegkreuzungen in dein Leben treten. Vielleicht findest du sie in einem Kurs, einer Gruppe oder einem Online-Forum. Oder du gründest selbst einen kleinen Kreis, wie wir es getan haben.
Die Art der Verbindung ist nicht entscheidend. Entscheidend ist das ehrliche Miteinander-Teilen, das Gefühl, auf dem Weg nicht allein zu sein, und die Erkenntnis, dass unsere individuellen Geschichten Teil einer größeren, gemeinsamen Geschichte sind – der Geschichte von Frauen, die den Mut haben, ihrem eigenen Pfad zu folgen und dabei einander zu stärken.
In diesem Sinne reiche ich dir meine Hand als Wegbegleiterin – durch die Worte dieses Blogs und die Geschichten, die wir hier teilen. Mögen sie dich inspirieren, trösten und bestärken auf deiner ganz persönlichen Reise.
In herzlicher Verbundenheit, Deine Sehnsuchtsmomente-Redaktion
P.S.: Welche Begegnung mit einer anderen Frau hat dich auf deinem Weg besonders inspiriert oder getröstet? Ich würde mich freuen, wenn du deine Geschichte in den Kommentaren teilst und so zur Wegbegleiterin für andere Leserinnen wirst.
25.05.2025
Warum echte Verbindung heilt – und wie du sie findest
Liebe Leserin,
hast du dich schon einmal inmitten einer Gruppe von Menschen einsam gefühlt? Oder nach einem Abend voller Gespräche nach Hause gegangen und gedacht: "Eigentlich wurde ich gar nicht gesehen heute"?
Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr vernetzt sind denn je – und uns trotzdem oft unverstanden fühlen. Wir haben hunderte Kontakte im Telefon, folgen unzähligen Menschen online und sind ständig im Austausch. Aber echte Verbindung, das Gefühl von tiefem Verstandenwerden, scheint seltener zu werden.
Vielleicht liegt es daran, dass wir verlernt haben, was echte Begegnung bedeutet. Oder dass wir Angst haben vor der Verletzlichkeit, die wahre Nähe mit sich bringt. Dabei ist es gerade diese Art von Verbindung, die unsere Seele nährt und uns das Gefühl gibt, wirklich lebendig zu sein.
Der Unterschied zwischen Kontakt und Verbindung
Oberflächliche Kontakte sind wie ein schneller Snack – sie stillen kurz den Hunger nach sozialer Interaktion, aber sie nähren uns nicht wirklich. Echte Verbindung hingegen ist wie ein liebevoll zubereitetes Mahl, das uns von innen wärmt und stärkt.
Bei oberflächlichen Kontakten sprechen wir über das Wetter, über Netflix-Serien oder über die Arbeit. Wir tauschen Informationen aus, aber teilen wenig von dem, was uns wirklich bewegt. Wir zeigen unser "Sonntagsgesicht" – freundlich, zusammengenommen, problemlos.
Echte Verbindung entsteht, wenn wir den Mut haben zu sagen: "Mir geht es heute nicht gut" oder "Ich habe Angst vor dieser Entscheidung". Wenn wir unsere Freude ungefiltert teilen können oder zugeben, dass wir manchmal nicht wissen, was wir tun. Wenn der andere uns wirklich sieht – nicht nur die Rolle, die wir spielen.
Warum wir uns vor echter Nähe scheuen
In unserer perfektionsorientierten Welt haben viele von uns gelernt, dass wir liebenswert sind, wenn wir stark, erfolgreich und zusammengenommen erscheinen. Die Angst, abgelehnt zu werden, wenn wir unsere wahren Gefühle zeigen, hält uns oft davon ab, echte Nähe zuzulassen.
Wir denken: "Was, wenn sie merkt, dass ich auch mal unsicher bin?" oder "Was, wenn er nicht mehr mit mir befreundet sein will, wenn ich zeige, wie ich wirklich bin?" Diese Ängste sind verständlich – aber sie kosten uns die Erfahrung wahrer Verbindung.
Dabei ist genau das Gegenteil oft der Fall: Menschen fühlen sich zu uns hingezogen, wenn wir authentisch sind. Verletzlichkeit schafft Nähe, nicht Abstand.
Die heilende Kraft des Gesehenwerdens
Echte Verbindung heilt, weil sie uns das Gefühl gibt, dass wir nicht allein sind mit dem, was uns bewegt. Wenn jemand wirklich hinhört, wenn wir unsere Sorgen teilen, fühlen sie sich automatisch leichter an. Wenn jemand unsere Freude mitfühlt, wird sie größer.
Das liegt daran, dass wir als Menschen darauf angewiesen sind, gesehen und verstanden zu werden. Es ist ein Grundbedürfnis, so wichtig wie Nahrung oder Schlaf. Wenn dieses Bedürfnis erfüllt wird, entspannt sich etwas Tiefes in uns. Wir fühlen uns weniger allein, weniger fremd in der Welt.
Eine Freundin erzählte mir kürzlich von einem Gespräch mit ihrer Nachbarin. Statt der üblichen Höflichkeitsfloskeln hatte sie ehrlich geantwortet, als die Nachbarin fragte, wie es ihr gehe. Sie erzählte von ihrer Sorge um die kranke Mutter, von der Überforderung im Job. Die Nachbarin hörte zu, nickte, teilte eigene Erfahrungen. "Danach fühlte ich mich wie neugeboren", sagte meine Freundin. "Endlich hatte mich jemand wirklich gesehen."
Praktische Wege zu echter Verbindung
1. Selbst den ersten Schritt machen
Statt zu warten, dass andere ehrlicher werden, kannst du selbst beginnen. Wenn jemand fragt, wie es dir geht, antwortete manchmal ehrlich. "Heute ist ein schwieriger Tag für mich" oder "Ich bin gerade richtig glücklich über..." Diese kleinen Momente der Authentizität laden andere ein, ebenfalls echter zu sein.
2. Echte Fragen stellen
Statt "Wie war dein Tag?" könntest du fragen: "Was hat dich heute am meisten beschäftigt?" oder "Worüber hast du dich heute gefreut?" Solche Fragen öffnen Türen zu tieferen Gesprächen.
3. Präsent sein statt multitasken
Echte Verbindung entsteht nur, wenn wir wirklich da sind. Das Handy beiseite legen, Augenkontakt halten, aktiv zuhören. Zeig durch deine Aufmerksamkeit, dass der Mensch vor dir wichtig ist.
4. Verletzlichkeit als Stärke sehen
Trau dich, auch deine unsicheren, traurigen oder zweifelnden Seiten zu zeigen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut. Und es gibt anderen die Erlaubnis, ebenfalls menschlich zu sein.
Digitale Verbindung vs. echte Begegnung
Soziale Medien können uns das Gefühl von Verbindung geben, aber oft ist es nur ein schwacher Abklatsch echter Begegnung. Ein "Like" ist nicht dasselbe wie ein mitfühlender Blick. Ein Kommentar ersetzt nicht das Gefühl, dass jemand wirklich zuhört.
Das heißt nicht, dass digitale Kommunikation wertlos ist. Aber sie kann echte, persönliche Begegnungen nicht ersetzen. Die Nuancen der Stimme, die Wärme einer Umarmung, das Gefühl, gemeinsam zu schweigen – das brauchen wir als Menschen.
Auch zu dir selbst eine echte Verbindung finden
Echte Verbindung zu anderen beginnt oft mit echter Verbindung zu dir selbst. Wenn du deine eigenen Gefühle ernst nimmst, deine Bedürfnisse wahrnimmst und dir selbst mit Mitgefühl begegnest, fällt es dir leichter, auch anderen authentisch zu begegnen.
Nimm dir regelmäßig Zeit für ehrliche Selbstreflexion: Wie geht es mir wirklich? Was bewegt mich gerade? Was brauche ich? Je klarer du dir selbst begegnest, desto klarer kannst du auch anderen begegnen.
Ein persönliches Wort an dich
Liebe Leserin, in einer Welt, die oft oberflächlich und schnelllebig ist, ist echte Verbindung ein kostbares Geschenk – für dich und für andere. Du musst nicht perfekt sein, um geliebt zu werden. Du musst nicht alle Antworten haben, um interessant zu sein. Du darfst Mensch sein, mit all deinen Facetten.
"Wem in meinem Leben kann ich heute echt begegnen – ohne Maske?" Vielleicht ist es die Kollegin beim Kaffee, der Partner beim Abendessen oder die Freundin beim Telefonat. Vielleicht ist es auch nur ein kurzer, aber ehrlicher Moment mit der Kassiererin oder dem Nachbarn.
Jede echte Begegnung, sei sie noch so klein, ist wie ein Licht, das du in die Welt bringst. Sie erinnert daran, dass wir alle Menschen sind, die gesehen und verstanden werden wollen. Und je mehr wir bereit sind, selbst echt zu sein, desto mehr Echtes werden wir auch zurückbekommen.
Die Welt braucht mehr echte Verbindung. Und sie kann mit dir beginnen.
Herzlich,
Deine Sehnsuchtsmomente-Redaktion
Wann hast du dich das letzte Mal wirklich gesehen und verstanden gefühlt? Und wem könntest du heute eine echte, unverstellte Begegnung schenken?
August 2025
Die Kunst des Neuanfangs: Wenn das Leben uns zum Umbruch einlädt
Geschichten von Frauen, die bewusst oder unfreiwillig neu begonnen haben
Liebe Leserin,
hast du schon einmal vor einer Tür gestanden, die sich hinter dir für immer geschlossen hatte, während vor dir ein unbekannter Weg lag? Diesen Moment, in dem das Vertraute verschwindet und das Neue noch nicht greifbar ist – diesen Raum zwischen dem, was war, und dem, was werden könnte?
Manche Neuanfänge kommen leise, wie ein langsam dämmernder Morgen. Andere brechen über uns herein wie ein plötzlicher Sturm. Wieder andere warten geduldig, bis wir bereit sind, sie zu ergreifen. Heute möchte ich dir Geschichten von Frauen erzählen, die alle auf ihre Weise die Kunst des Neuanfangs erlernt haben – manche freiwillig, andere durch die Umstände gedrängt, alle aber mit dem Mut, einen neuen Weg zu beschreiten.
Wenn das Leben die Karten neu mischt
Bevor wir in diese Geschichten eintauchen, lass uns einen Moment bei dem verweilen, was einen wahren Neuanfang ausmacht. Es ist mehr als nur eine Veränderung der äußeren Umstände. Ein Neuanfang bedeutet, die gewohnten Muster zu durchbrechen, alte Identitäten zu hinterfragen und den Mut zu fassen, sich selbst neu zu erfinden – nicht selten in einem Alter, in dem andere meinen, die wesentlichen Entscheidungen seien bereits gefallen.
Als Frauen ab 40 stehen wir oft vor der besonderen Herausforderung, dass unsere Neuanfänge nicht mehr die unschuldige Experimentierfreude der Jugend haben. Sie tragen das Gewicht der Erfahrung, die Verantwortung für andere und manchmal auch die Angst vor der Zeit, die vermeintlich weniger wird. Und doch – oder gerade deswegen – haben sie eine Tiefe und Authentizität, die jugendliche Aufbrüche selten erreichen.
Carmen: Als die Ehe zerbrach und das Leben neu begann
Carmen lernte ich in einem Café kennen, wo sie an ihrem Laptop saß und konzentriert tippte. Wir kamen ins Gespräch, und sie erzählte mir von ihrem unfreiwilligen Neuanfang nach 23 Jahren Ehe.
"Als mein Mann mich verließ, dachte ich, mein Leben sei vorbei," gestand sie mir. "Ich war 52, hatte zwei erwachsene Kinder und hatte mich die letzten zwei Jahrzehnte hauptsächlich über meine Rolle als Ehefrau und Mutter definiert. Plötzlich stand ich da mit der Frage: Wer bin ich eigentlich, wenn niemand da ist, für den ich sorgen muss?"
Die ersten Monate waren geprägt von einem Wechselbad der Gefühle. "Morgens wachte ich auf und für einen Moment war alles normal. Dann traf mich die Realität wie ein Schlag: Das Leben, das ich kannte, existierte nicht mehr. Ich schwankte zwischen Wut, Trauer und einer seltsamen Art von Erleichterung, die mich selbst erschreckte."
Der Wendepunkt kam, als Carmen eines Abends allein in ihrer viel zu großen Küche stand und plötzlich realisierte: "Ich kann kochen, was ich will. Wann ich will. Ich muss niemanden fragen, niemandem Rechenschaft ablegen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gehörte mein Leben wieder nur mir."
Sie begann, alte Träume aus der Schublade zu holen. Schon während des Studiums hatte sie davon geträumt, zu schreiben. "Ich meldete mich für einen Online-Kurs für kreatives Schreiben an. Es fühlte sich an wie ein kleiner Akt der Rebellion – gegen die Stimme in meinem Kopf, die sagte: 'Dafür bist du zu alt' oder 'Das schaffst du nie'."
Was als Therapie für die gebrochene Seele begann, entwickelte sich zu einer neuen Berufung. Heute, vier Jahre später, arbeitet Carmen als freie Autorin und Texterin. "Ich verdiene nicht so viel wie in meinem alten Job in der Verwaltung, aber ich verdiene mein Geld mit etwas, das mir Freude macht. Und ich habe eine Selbstständigkeit entwickelt, von der ich nicht wusste, dass sie in mir steckt."
Was mich an Carmens Geschichte besonders berührt, ist ihre Erkenntnis über die verborgenen Geschenke eines unfreiwilligen Neuanfangs: "Der Schmerz der Trennung war real und tief. Aber ohne diesen Schmerz hätte ich nie den Mut gefasst, mein eigenes Leben zu leben. Manchmal muss das Leben uns aus unserem Schlaf reißen, damit wir aufwachen können."
Ingrid: Der bewusste Schritt ins Ungewisse
Ingrid traf ich bei einem Vortrag über nachhaltige Landwirtschaft. Sie war 49, hatte gerade ihren Job als Marketingleiterin gekündigt und stand kurz davor, einen Hof zu übernehmen – ohne jede landwirtschaftliche Erfahrung.
"Meine Familie dachte, ich hätte den Verstand verloren," lachte sie. "Eine gut bezahlte Führungsposition aufgeben, um Gemüse anzubauen? Mit fast fünfzig? Aber weißt du, ich hatte schon seit Jahren dieses nagende Gefühl, dass ich nicht mehr am richtigen Platz war."
Der Auslöser für ihren radikalen Wandel war paradoxerweise ein Burnout. "Ich lag im Krankenhaus und starrte an die weiße Decke. Zum ersten Mal seit Jahren war mein Kopf still genug, um wirklich zu hören, was meine Seele mir schon lange zu sagen versuchte: Ich sehnte mich nach etwas Echtem, nach Arbeit, die sinnvoll ist, nach einem Leben im Einklang mit der Natur."
Die Idee reifte langsam. Ingrid begann, ihre Wochenenden auf Höfen zu verbringen, las Bücher über Permakultur und besuchte Kurse. "Meine Kollegen dachten, das sei nur eine Phase. Aber mit jedem Wochenende, das ich auf dem Land verbrachte, wurde mir klarer: Das ist es, was ich wirklich will."
Der entscheidende Moment kam, als ein kleiner Biohof in ihrer Region einen Nachfolger suchte. "Ich hatte Angst. Riesige Angst. Aber ich hatte noch mehr Angst davor, in zehn Jahren zurückzublicken und zu bereuen, dass ich es nicht versucht habe."
Heute bewirtschaftet Ingrid erfolgreich ihren kleinen Hof mit Gemüseanbau und Direktvermarktung. "Es ist körperlich anstrengend und finanziell manchmal eng. Aber wenn ich morgens aufstehe und meine Hände in die Erde lege, wenn ich sehe, wie aus einem winzigen Samen eine Pflanze wird, dann spüre ich eine Erfüllung, die ich im Büro nie gefunden hätte."
Was mich an Ingrids Geschichte fasziniert, ist ihr Mut, einem inneren Ruf zu folgen, der von außen betrachtet völlig irrational schien: "Die meisten Menschen warten auf die perfekten Umstände für einen Neuanfang. Aber die perfekten Umstände kommen nie. Man muss bereit sein, ins Ungewisse zu springen und zu vertrauen, dass sich der Weg beim Gehen zeigt."
Petra: Wenn Krankheit zum Wendepunkt wird
Petra begegnete ich in einer Selbsthilfegruppe, wo sie ihre Geschichte mit anderen Krebsüberlebenden teilte. Mit 54 hatte sie die Diagnose Brustkrebs erhalten – ein Schock, der ihr Leben völlig auf den Kopf stellte.
"Die Diagnose war wie ein Erdbeben," erzählte sie. "Plötzlich wurde alles, was mir wichtig schien, unwichtig. Und alles, was ich für nebensächlich gehalten hatte, wurde existenziell wichtig."
Während der Chemotherapie hatte Petra viel Zeit zum Nachdenken. "Ich lag in meinem Bett und dachte: Wenn ich das überlebe, dann will ich nicht mehr so leben wie bisher. Ich hatte zwanzig Jahre in einem Job verbracht, der mich nicht erfüllte, in einer Beziehung, die längst erkaltet war, und in einem Leben, das ich irgendwie verpasst hatte."
Die Behandlung war erfolgreich, aber der Heilungsprozess brachte einen tieferen Wandel mit sich. "Es war, als hätte die Krankheit alles Unwesentliche weggebrannt. Was übrig blieb, war eine klare Sicht auf das, was wirklich zählte."
Petra trennte sich von ihrem Partner, kündigte ihren Job und begann eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin. "Menschen in schweren Zeiten zu begleiten – das war schon immer meine eigentliche Berufung. Aber ich hatte nie den Mut gehabt, diesem Ruf zu folgen. Die Krankheit gab mir diesen Mut."
Heute arbeitet sie in einer Hospizeinrichtung und begleitet sterbende Menschen in ihren letzten Wochen. "Es ist keine leichte Arbeit, aber es ist die sinnvollste Arbeit, die ich mir vorstellen kann. Jeden Tag erinnern mich meine Patienten daran, wie kostbar das Leben ist und wie wichtig es ist, authentisch zu leben."
Was mich an Petras Geschichte am meisten berührt, ist ihre Dankbarkeit – nicht für die Krankheit selbst, aber für die Klarheit, die sie gebracht hat: "Krebs war der schrecklichste und zugleich der wichtigste Wendepunkt meines Lebens. Er hat mich gelehrt, dass es nie zu spät ist, das Leben zu leben, das man wirklich leben möchte."
Rosa: Der späte Aufbruch in ein neues Land
Rosa lernte ich in einem Sprachkurs kennen. Sie war 61 und lernte Italienisch – nicht für den Urlaub, sondern weil sie nach Italien auswandern wollte. Allein.
"Meine Kinder denken, ich bin verrückt geworden," gestand sie mir nach dem Unterricht. "Eine 61-jährige Witwe, die alles hinter sich lässt, um in einem fremden Land neu anzufangen? Aber weißt du was? Zum ersten Mal seit Jahrzehnten fühle ich mich lebendig."
Nach dem Tod ihres Mannes vor zwei Jahren hatte Rosa zunächst versucht, ihr gewohntes Leben weiterzuführen. "Ich funktionierte. Ging zur Arbeit, traf Freunde, besuchte die Kinder. Aber es war, als würde ich in einem Film mitspielen, der nicht meiner war."
Die Wende kam während eines Urlaubs in der Toskana. "Ich saß auf einer Terrasse, schaute über die Weinberge und dachte plötzlich: Was, wenn ich hier bleiben würde? Was, wenn ich endlich das Leben lebe, das ich schon immer wollte, aber nie zu träumen gewagt hatte?"
Zurück in Deutschland begann Rosa, ernsthaft über diesen Gedanken nachzudenken. "Mein Mann war ein wunderbarer Mensch, aber er war auch sehr sicherheitsbedürftig. Reisen, Abenteuer, Neuanfänge – das alles hatte in unserem gemeinsamen Leben keinen Platz. Nun war ich frei, meine eigenen Träume zu verfolgen."
Der Plan reifte langsam. Rosa verkaufte ihr Haus, kündigte ihren Job und suchte sich eine kleine Wohnung in einem toskanischen Bergdorf. "Die praktischen Herausforderungen waren enorm – Sprache, Bürokratie, Einsamkeit. Aber die emotionale Befreiung war größer."
Heute lebt Rosa seit einem Jahr in Italien und fühlt sich angekommen. "Ich habe weniger Komfort als früher, aber ich habe mehr Leben. Jeden Morgen wache ich auf und denke: Das ist mein Leben. Ich habe es gewählt, und ich lebe es."
Was mich an Rosas Geschichte fasziniert, ist ihr Mut, einem Traum zu folgen, den viele für unrealistisch gehalten hätten: "Alter ist nur eine Zahl. Solange dein Herz schlägt, ist es nie zu spät für einen Neuanfang. Das Wichtigste ist, den Mut zu haben, auf die leise Stimme in dir zu hören, die sagt: Da ist noch mehr."
Die gemeinsamen Fäden
In all diesen so unterschiedlichen Geschichten erkenne ich wiederkehrende Muster – Fäden, die sich durch jeden wahren Neuanfang zu ziehen scheinen:
Der Moment der Klarheit: Bei jeder dieser Frauen gab es einen Wendepunkt, einen Moment, in dem die Wahrheit ihrer Situation kristallklar wurde. Manchmal schmerzhaft, manchmal befreiend, aber immer unausweichlich.
Der Mut zur Ungewissheit: Jeder Neuanfang bedeutet, das Bekannte zu verlassen, ohne zu wissen, was kommt. Diese Frauen haben gelernt, Unsicherheit nicht als Bedrohung, sondern als Möglichkeit zu sehen.
Das Vertrauen in den eigenen Weg: Alle mussten lernen, weniger auf die Stimmen von außen zu hören und mehr auf ihre innere Wahrheit zu vertrauen.
Die Akzeptanz des Prozesses: Ein Neuanfang ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess mit Höhen und Tiefen, Zweifeln und Gewissheiten.
Die Kunst des Anfangens
Was macht einen Neuanfang zu einer Kunst? Es ist die Fähigkeit, das Chaos des Übergangs in etwas Schönes zu verwandeln. Die Bereitschaft, sich selbst neu zu erfinden, ohne die Essenz dessen zu verlieren, was man ist. Die Weisheit, zu unterscheiden zwischen dem, was loslassen werden muss, und dem, was mitgenommen werden soll.
In unserer Gesellschaft wird oft suggeriert, dass mit 40, 50 oder 60 die Zeit der großen Veränderungen vorbei sei. Diese Frauen beweisen das Gegenteil. Sie zeigen, dass die zweite Lebenshälfte nicht der Epilog ist, sondern der Beginn eines neuen Kapitels – eines Kapitels, das wir selbst schreiben können.
Ein Raum für deine Geschichte
Liebe Leserin, vielleicht erkennst du dich in einer dieser Geschichten wieder. Vielleicht stehst du gerade selbst vor einem Neuanfang – gewollt oder ungewollt. Vielleicht trägst du einen Traum in dir, den du für zu verrückt, zu spät oder zu schwierig hältst.
Falls das so ist, möchte ich dir das mitgeben, was alle diese Frauen auf ihre Weise entdeckt haben: Es ist nie zu spät für einen Neuanfang. Die Umstände müssen nicht perfekt sein. Du musst nicht alle Antworten haben. Du musst nur bereit sein, den ersten Schritt zu gehen.
Der Weg zeigt sich beim Gehen. Das Leben hält immer neue Möglichkeiten bereit – auch für uns, auch jetzt, auch heute.
In herzlicher Verbundenheit und mit dem Wunsch, dass du den Mut findest, deinem eigenen Weg zu folgen,
Deine Sehnsuchtsmomente-Redaktion
P.S.: Stehst du selbst vor einem Neuanfang oder hast du einen bereits gewagt? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Teile deine Geschichte gerne in den Kommentaren – sie könnte andere Frauen inspirieren und ermutigen.